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Behandlungsfehlerbegutachtung 2022: Immer wieder die gleichen Fehler

13.059 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern hat der Medizinische Dienst im Jahr 2022 erstellt. In jedem 4. Fall wurden ein Fehler und ein Schaden festgestellt; in jedem 5. Fall war der Fehler Ursache für den erlittenen Schaden. Das geht aus der aktuellen Jahresstatistik zur Behandlungsfehlerbegutachtung hervor, die der Medizinische Dienst heute in Berlin vorgestellt hat. In Niedersachsen wurden in diesem Zeitraum 1.230 Fälle durch den Medizinischen Dienst Niedersachsen untersucht.

Bild: Behandlungsfehler in Niedersachsen 2022.

Um die Patientensicherheit zu verbessern, sollten schwerwiegende, aber sicher vermeidbare Ereignisse wie Seiten- oder Medikamentenverwechslungen (Never Events) verpflichtend gemeldet werden. „Das ist internationaler Standard in der Patientensicherheit. Es ist aus Patientensicht nicht hinnehmbar, dass Deutschland das nicht umsetzt.“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund.

Im vergangenen Jahr hat der Medizinische Dienst bundesweit 13.059 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem 4. Fall (3.221 Fälle) wurde ein Fehler mit Schaden bestätigt.In jedem 5. Fall (2.696 Fälle) war der Fehler Ursache für den erlittenen Schaden – nur dann haben Patientinnen und Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Die Zahl der Gutachten bewegt sich insgesamt auf dem Niveau der Vorjahre. „Die Begutachtungszahlen zeigen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens“, erläutert Dr. Gronemeyer. „Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist vielfach belegt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt: Experten gehen davon aus, dass etwa 1 Prozent der Krankenhausfälle von Behandlungsfehlern betroffen ist. Nur etwa 3 Prozent aller unerwünschten Ereignisse werden nachverfolgt.“

Medikamenten- und Seitenverwechslungen, verbliebenes OP-Material im Patienten

Von großer Bedeutung für Präventionsmaßnahmen sind sogenannte Never Events. Dabei handelt es sich um gut vermeidbare unerwünschte Ereignisse, die zu schwerwiegenden Schäden bei Patientinnen und Patienten führen können: Dazu gehören Patienten- und Seitenverwechslungen, schwerwiegende Medikationsfehler oder unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen. Diese Schadensereignisse tauchen jedes Jahr in der Begutachtungsstatistik der Medizinischen Dienste auf (2022: 165 Fälle; 2021: 130 Fälle), obwohl die Risiken bekannt und geeignete Präventionsmaßnahmen verfügbar wären. Solche Ereignisse zeigen, dass Risiken im Versorgungsprozess bestehen und die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort unzureichend sind. Deshalb sind Never Events für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig und werden daher in vielen anderen Ländern bereits für die Prävention erfolgreich genutzt.

„Deutschland sollte dies endlich umsetzen. Die geplante Novellierung des Patientenrechtegesetzes bietet die Chance, eine verpflichtende Nationale Never Event-Liste einzuführen und dadurch die Patientensicherheit in der Versorgung zu stärken“, sagt Gronemeyer. „Die Meldung der Schadensereignisse dient ausschließlich der Prävention. Sie sollte für die Einrichtungen sanktionsfrei und pseudonymisiert erfolgen.“

Fehlervorwürfe in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen

In der aktuellen Jahresstatistik bezogen sich zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8.827 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf Arztpraxen (4.208 Fälle). „Die meisten Vorwürfe beziehen sich auf operative Eingriffe. Da diese häufig im Krankenhaus erfolgen, werden sie dem stationären Sektor zugeordnet“, erläutert
Dr. Christine Adolph, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern.

30,3 Prozent aller Vorwürfe (3.960 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, 12,2 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.599 Fälle), jeweils knapp 9 Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.143 Fälle) sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.133 Fälle). Ebenfalls knapp 8 Prozent entfielen auf die Zahnmedizin (1.006 Fälle) und über 6 Prozent auf die Pflege (834 Fälle). 26 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf 29 weitere Fachgebiete. In der Jahresstatistik 2022 sind 13.059 Verdachtsfälle zu insgesamt 1.019 unterschiedlichen Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe betreffen fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Durchblutungsstörungen am Herzen, Gallensteinen oder Zahnerkrankungen.

Die Zahlen der Jahresstatistik sind nicht repräsentativ – sie zeigen lediglich die Begutachtungszahlen und -ergebnisse des Medizinischen Dienstes. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt gar nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, erklärt Adolph. „Sie zeigen nur, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht.“ Fehler bei chirurgischen Eingriffen sind für Patienten in der Regel leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler, weshalb auch eher Fehler bei Operationen vorgeworfen werden als bei anderen Behandlungen.

Zwei Drittel der Schäden sind vorübergehend

Bei knapp zwei Drittel (60,5 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patientinnen und Patienten vorübergehend − eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt waren notwendig. Die Patienten sind jedoch vollständig genesen. Bei über einem Drittel der Betroffenen (35 Prozent) wurde ein Dauerschaden verursacht. Die Medizinischen Dienste unterscheiden zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden kann eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion sein. Ein schwerer Dauerschaden liegt vor, wenn Geschädigte pflegebedürftig geworden sind oder sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder dauerhafte Lähmungen erleiden. In 3 Prozent der Fälle (84) hat ein Fehler zum Versterben geführt oder wesentlich dazu beigetragen.

Hintergrund

Spezielle Teams des Medizinischen Dienstes begutachten Vorwürfe zu Behandlungsfehlern im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachterinnen und Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und mit aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird geprüft, ob der Schaden, den Versicherte erlitten haben, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann bestehen Schadensersatzansprüche. Auf der Basis des Sachverständigengutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Den Versicherten entstehen durch die Begutachtung keine Kosten.

 

 

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